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Samstag, 23. März 2024

»Das Schloss« Interpretation



Franz Kafkas Werke sind nicht eindeutig zu interpretieren, aber man kann sich ihnen auf unterschiedliche Weise nähern. Man kann all diese möglichen Interpretationen und Auslegungen für "richtig" halten – solange man sich nur bewußt bleibt, daß man diesen Roman mit keiner von ihr ganz besitzt und daß jede mindestens ebenso viel über ihren Urheber aussagt wie über das Buch.

Der Roman eröffnet eine enorme Bandbreite an möglichen Deutungen und lässt den Leser nachdenklich zurück. Er hat etwas Offenes, Unabgeschlossenes und nicht Greifbares. Nichts ist sicher und gesichert, für die Hauptperson K schon gar nicht. Zunächst versteht man überhaupt nicht, warum K sich so in seinen Wahn hineinsteigert ins Schloss zu kommen, oder warum sich die Dorfbewohner so schikanieren lassen von den Schlossbeamten. Erst nach und nach wird klar, dass es um Lebenserfahrungen gehen könnte, die wir auch heute machen. Das Schloss ist so gesehen eine Metapher.

Es zeichnet die Spur einer elementaren menschlichen Bewegung, der Bewegung auf ein Ziel, das sich während dieser Bewegung als immer unerreichbarer enthüllt, so wie jeder Fetzen der Wirklichkeit selbst sich unter dem forschenden Blick abenteuerlich kompliziert und immer uneinnehmbarer wird. Die Tücke des Objekts Kafkas trauriger Held trifft auf einen Gegenstand, der sich für das Interesse des Neugierigen rächt, indem er wächst und dem Herausforderer seine Kleinheit beweist.

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Man kann biografisch ansetzten: sicherlich hat sein schwieriges Verhältnis zu seinem Vater seine Literatur beeinflusst. Allerdings, wenn man seinen Biografen Glauben schenken darf, scheint er auch selbst ein schwieriger Mensch gewesen zu sein und nicht unbedingt für das praktische Leben tauglich. So finden sich sicher auch Züge Kafkas in der Person K. wieder.

Aber auch soziale (siehe die Lebensumstände der Personen), psychoanalytische (Rolle der Frauen) oder religiöse (hat nicht jeder auf irgendeine Weise Schuld auf sich geladen?) Ansätze sind denkbar. Es bleibt letztlich jedem einzelnen Leser überlassen, zu welcher Interpretation er bei einer Annäherung an die Person von Franz Kafka tendiert.

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Das geheimnisvolle Werk, das in seinen Beschreibungen wage ist, gibt damit vielen unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten des Textes freien Raum und stachelt damit die Phantasie des Lesers an.

»Das Schloß« ist ein unvollendet gebliebener Roman. Dieser Umstand der Unfertigkeit läßt viele Fragen offen und ergibt Spielraum in der Interpretation. Kafka ist somit offen in der Interpretation. Somit kann leder in diese Geschichte das hineinlesen, was ihn anspricht und bewegt und so das Buch durchaus auch als dystopische Vorhersage aktueller politischer Entwicklungen sehen. Die Versuche der Interpretation dieses Werkes sind vielfältig - sie reichen von einer Art Autobiographie (K. = Kafka) bis hin zu einer prophetischen Vision einer Dystopie.

Aber wir sind nicht gut zu Hause in der gedeuteten Welt, wußte bereits Rilke.


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Der Roman ist in der Person, der komplexen Persönlichkeitsstruktur und Psyche Kafkas angelegt. Und er ist sozusagen eine Projektion seiner eigenen Person, gründend auf seiner Herkunft, seinen Beziehungen  und recht verschiedenartigen  Erfahrungen in seinem Leben.

Da sind zunächst seine Familie. Vor allem der dominierende und gestrenge Vater, war ein entscheidender Bezugspunkt im Leben von Franz Kafka. Der Einfluß des Vaters ist ebenso bestimmend wie der vom Vater erzeugte Schuldkomplex und der Ausdruck von Schuldgefühl, als Sohn nicht den Anforderungen des Vaters zu entsprechen.

Hinzu kommt noch die Erfahrung in seinem Beruf. Als Angestellter einer Versicherungsgesellschaft war Kafka mit der Verwaltung von Kunden und bürokratischen Vorgängen vertraut, er hatte also Erfahrung im Umgang mit der Bürokratie.

Kafka war ein stets von Zweifeln geplagter Mensch, denn er haderte mit sich selbst und die Zweifel sind in der Außergewöhnlichkeit seiner Literatur begründet.

All diese Umstände und Einflüsse auf sein Leben sind in sein spätes Werk eingeflossen und wurden dort innerlich verarbeitet und stark verfremdet dargestellt, ohne daß sich autobiografische Bezüge herstellen lassen.

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Der vielschichtige Roman ist eine düstere Parabel auf die undurchdringliche bürokratische Welt und das Wirken anonymer Mächte, welche das Leben der Menschen bestimmen und beherrschen und das ungute Gefühl der Beherrschtheit wecken.

»Das Schloss« und seine Umgebung sind eine verlorene Welt. Hier gibt es nichts zu finden, aber viel zu rätseln. In dieser Umgebung führt kein Weg in das Schloss und damit zum Ziel. Ist ein Ort der Vergeblichkeit.

»Das Schloss« ist eine zeitlose Parabel auf  Sinnlosigkeit menschlichen Strebens und die Unmöglichkeit an ein Ziel zu gelangen. Das sinnlose Streben des Landvermessers ist ein Beispiel für ein zielfreies Leben.

Das Schloss, das zu erreichen zunächst K.s Ziel ist, rückt immer weiter in den Hintergrund. So sieht K. es zu Beginn noch über dem Dorf aufragen, nur um dann festzustellen, dass man ihm scheinbar nicht näherkommen kann, oder es von der ungewöhnlich schnell eintretenden Dunkelheit verschluckt wird. Nur die wenigsten Dorfbewohner haben direkten Kontakt zum Schloss oder gehen dort gar regelmäßig ein und aus. Keine Straße scheint wirklich dorthin zu führen und kein Wagen möchte K. dorthin bringen. Und dennoch kontrolliert das Schloss oder eher sein unendlich groß wirkender Beamtenapparat das Dorf und K. erlebt die Ohnmacht gegenüber einer undurchsichtigen Bürokratie. Eine hier durchaus übertrieben dargestellte und dennoch wahrscheinlich vielen Lesern vertraute Erfahrung.

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Für Kafka waren Anonymität und Undurchschaubarkeit menschliche Grunderfahrungen des modernen Zeitalters. So spielt »Das Schloss« in einer undurchschaubaren Welt, die namenlosen Mächten gehorcht und in der es für den unglücklichen Landvermesser K. einfach kein An-das-Ziel-Kommen geben wird.

Der Roman ist eine schillernde Parabel für das Ausgeliefertsein an anonyme Mächte, die im dem Roman als unzugängliche Beamten auftreten. Ein der Anonymität ausgelieferter und von hörigen Einwohnern, welche sich der Macht beugen und fügen, umgebener Mensch, welcher den Beamten hilflos ausgeliefert ist, ist das zentrale Element des Romans.

In Form einer Parabel auf die Existenzsituation des Menschen der Moderne schildert Kafka, wie eine anonyme Macht – das Schloss – die Sehnsucht des Menschen nach Wahrheit und Sinn manipuliert, den Suchenden bannt, unterdrückt und vernichtet.

Das Werk lebt geradezu von der Undurchschaubarkeit der Vorgänge. Kafka nimmt in dem Roman schon die grundlegenden Probleme vorweg, welchen der Mensch der Moderne ausgesetzt sein wird: Ausgeliefertsein an anonyme Mächte und eine übermächtige Bürokratie.


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Ein Umstand, der sich sehr gut interpretieren lässt, ist der Zusammenhang zu seinem anderen Werk »Der Prozess«. Die Interpretationen der beiden zwillingshaften Werke sind Legion. Manche vermuten, die Werke könnten autobiografischen Hintergrund haben, sie weisen auch theologische Bezüge auf.

In höherem Maß als »Der Prozess« verweigert sich »Das Schloss« eindeutigen Interpretationsversuchen. Bietet der Roman »Der Prozess« mit Begriffen wie »Gesetz«, »Gericht« oder »Schuld« noch konkreten Assoziationsfreiraum, liefert »Das Schloss« solche Anhaltspunkte kaum mehr. Dies bedingt vor allem die den Aufbau bestimmende Kreisstruktur, die als zentrale Grundfigur des Romans alle geschilderten Ereignisse, Dialoge und Erzählebenen dominiert: K.s Versuche, ins Schloss zu gelangen, führen ihn stets kreisförmig an den Ausgangspunkt zurück; aussichtsreiche Gespräche enden, ohne dass K. Aufklärung erhalten hätte.

K. hat keine Möglichkeit der aktiven Auseinandersetzung mit der ihm gegenüberstehenden Ordnung. Diese entzieht sich jeder Überprüfbarkeit und Erfahrbarkeit. Alle Widersprüche und Absurditäten dieser Ordnung sind unangreifbar. Darin liegt K.s Unfreiheit und die aller anderen Romanfiguren. Der Roman ist die große Parabel der Moderne und Postmoderne, ein visionäres Meisterwerk, aktueller denn je, Meta-Literatur, eine Lektüre-Herausforderung, die jeden Leser (über-)fordert.

Der »Schloss«-Roman knüpft dabei an die Grundsituation des »Prozess«-Manuskripts von 1914 an. Auch hier geht es um einen Einzelnen, der mit Strategien der Verdrängung, der Unwahrhaftigkeit und des Selbstbetrugs gegen eine schwer durchschaubare Ordnung kämpft. Und wieder ist die scheinbar fremde Gegenwelt in Wirklichkeit Teil des Protagonisten: ein seelischer Apparat eher als ein soziales Machtsystem.

Wie das Unbewusste des Menschen funktionieren die Maschinerien der Schloss-Bürokratie, deren Beamte von ihrem sexuellen Verlangen getrieben, von Dauermüdigkeit übermannt, von Ängsten überrollt werden.

Wie das Unbewusste arbeitet die Verwaltung des scheinbar nahen Schlosses, denn sie vergisst nichts, speichert alles und lässt es in überraschenden Momenten wieder aus sich hervortreten. Kafkas soziale Schreckenssysteme sind deshalb so fürchterlich, weil sie Versionen unseres Ich, Vexierspiele der Psyche und Manifestationen des Unbewussten bilden.

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Das Schloss ist der Sitz einer Behörde, welche das Grauen der modernen Existenz orchestriert. ۚDer Roman steht für die Vergeblichkeit menschlichen Tuns und Ausweglosigkeit der Moderne. K.s sinnloses Streben ist eine Geschichte, die unweigerlich auch an die Situation vieler Flüchtlinge heutzutage erinnert: der Kampf mit der Bürokratie, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, der Wunsch, einen Platz in der Gesellschaft zu finden.

Nichts ist erreichbar, das Ziel unendlich fern. Und so wird »Das Schloss« zum Symbol für die Unerreichbarkeit menschlichen Strebens. Das Schloss lag still wie immer. Niemals gab es das geringste Zeichen von Leben. Und es war nicht möglich, aus der Ferne etwas zu erkennen.

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In Kafkas Roman ist die durch die Beamten ausgeübte Macht bloßer Selbstzweck, sie legitimiert sich durch die Handlungen der Beamten selbst. Am augenfälligsten ist Kafkas Kritik der Bürokratie anhand der Bewohner des Schlosses. Der ganze Lebensinhalt der Schlossbewohner scheint die Aufrechterhaltung der Bürokratie zu sein.

Der Gegenstand der bürokratischen Tätigkeiten bleibt größtenteils im Dunkeln. Es scheint auch völlig irrelevant zu sein, denn der Ablauf, das Akten studieren, das Schreiben und die Kontrollbehörden scheinen wichtiger als jegliche Inhalte. Die Bürokratie selber scheint also das wichtige zu sein, nicht der ursprüngliche Grund für den bürokratischen Aufwand. Der behördliche Apparat wirkt so, als ob das Verwaltungswesen sich selber legitimisiert, jedoch sonst nach außen nichts löst.

Der Kampf gegen die Bürokratie erscheint als vergebliche Mühe. Es sind Wonnen der Vergeblichkeit, die der Landvermesser empfängt. Ein Beispiel für die satirische und überzogene Darstellung des behördlichen Schaffens ist die Szene, in der K. früh morgens im Herrenhof die Verteilung der Akten an die Sekretäre beobachtet und stört. Geradezu ironisch wirkt K.s Wahrnehmung des Verwaltungswesens. Die Arbeit der Beamten wirkt sinnlos und unnötig. Sie erledigen ja nichts, außer die amtliche Tätigkeit selber.

Die Schloss-Bürokratie ist derart übersteuert, dass sie selbst Routinefälle zu erledigen nicht mehr in der Lage ist. Jede Kleinigkeit führt zu einem riesigen bürokratischen Aufwand, der jahrelange Besprechungen und Kontrollen erfordert. Die Inhalte der Akten scheinen nicht zu interessieren, die Tätigkeit der Schlossbeamten beschränkt sich scheinbar nur auf die Form.

Geradezu ironisch wirkt K.s Wahrnehmung des Verwaltungswesens. Die Arbeit der Beamten wirkt sinnlos und unnötig. Sie erledigen ja nichts, außer die amtliche Tätigkeit selber.

Kafka war Beamter einer Versicherungsgesellschaft, der mit vielen behördlichen Vorgängen und der Verwaltung von Akten bestens vertraut war. Die behördlichen Schloss-Instanzen können als Funktionen Kafkas angesehen werden.     

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In Kafkas Romanen spielt die Verwaltung von Akten und das Sammeln von Daten eine zentrale Rolle, am auffälligsten in dem Werk »Das Schloss«, wo unentwegt von Akten die Rede ist. Auch das hat mit irgendwelchen hellseherischen Fähigkeiten Kafkas wenig zu tun, viel jedoch mit seinen beruflichen Erfahrungen: Er war Angestellter einer staatlichen Unfallversicherung, und er begriff sehr schnell, dass der statistische Zugriff, der für diese Branche typisch ist, etwas grundlegend Neues und Beängstigendes war. Auch in Kafkas Büro wurden Lebensläufe zu Akten, und individuelle Katastrophen wurden zu versicherungsmathematischem Material.

Kafka spürte, dass diese moderne Art von Verwaltung das Denken der Betroffenen verändert. Wer mit einer solchen Behörde zu tun hat, kann gar nicht anders, als sich ihren Routinen gedanklich anzupassen und alle darüber hinausgehenden Ideen – etwa die Frage, ob man „gerecht“ behandelt wird – für den Augenblick zu vergessen.

Die Arbeit der Beamten wird geradezu fragwürdig in den Schilderungen des Vorstehers.
„Die Menge der Akten ist so groß, daß sie gar nicht gleichzeitig bearbeitet werden kann. Wenn die Aktenberge ‚immerfort’ einstürzen, so kann man keinen einzelnen Akt mehr anders als durch Zufall finden und bearbeiten.“

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Rätselhaft und geheimnisvoll ist der Roman. Das ameisenhafte Gewusel und leere Getriebe der Schlossbehörde und das seltsam knechtische Verhältnis der Dorfbewohner zum Schloss bleibt unergründlich.

In dem Roman geht es auch um Ausübung von Macht gegenüber der Bevölkerung. Die Akte der Behörde sind Willkürakte, gegen  die man sich erwehren kann, aber leider ohne Erfolg. Kafka schildert eine trostlose und skurrile Welt, die von einer undurchschaubaren Macht gesteuert wird.

Das Schloss steht für die Macht der Beamten und die Machtlosigkeit der Dorfbewohner als ihrer Opfer. Die Dorfbewohner sind die der Macht ausgesetzten Opfer. Kafka schildert nicht nur, wie Menschen zu Opfern werden – was literarisch noch nicht besonders verdienstvoll wäre –, vor allem zeigt er, wie sehr die Macht darauf angewiesen ist, dass ihre Opfer „mitmachen“. Die Beamten führen dabei keine eigenen Akte aus, sondern verwalten sich quasi selbst.

Es ist schon seltsam, wie die scheinbar Untergebenen immer mehr Macht an den Tag legen, wie sie jeden Fortschritt des Protagonisten in Richtung Schloss zu verhindern wissen. Sein Zugang zum Schoß wird durch labyrinthisch erscheinende Dienstwege erschwert.

In K.s Bewußtsein besteht eine übermäßige Rangdifferenz zwischen ihm und der Behörde. Er spricht davon, daß der Machtunterscheid zwischen der Behörde und ihm so ungeheuerlich war, d aß alle Lüge und List, deren er fähig gewesen wäre, den Unterschied nicht wesentlich zu seinen Gunsten hätte herabdrücken  können.“

Aber auch die Beziehungen der Dorfbewohner untereinander hat etwas Befremdliches. denn. irgendwie scheint das ganze Dorfleben wie von ferner Hand gesteuert vom Schloss nebenan.

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Die bekannteste und sinnfälligste Interpretation des Romans aber ist wohl jene von Max Brod, der das Schloss und K.s Streben, dort Einlass zu erlangen, als Symbol für Gott ansieht, das Schloss als Ort der Gnade empfindet  und quasi eine in sieben Tagen stattfindende, biblisch angehauchte Schöpfungsgeschichte daraus macht. So tragen einige Figuren biblische Namen, so etwa Barnabas, der als Vermittler zwischen K. und dem Schloss auftritt.

Von dieser Sichtweise ausgehend, erscheint das von Brod überlieferte Ende des Romans besonders bedeutungsvoll: K. Anstrengungen, in das  Schloss zu gelangen, enden in seinem Tod, am Sterbebett trifft jedoch ein Brief von diesem Schloss ein, daß ihm letztendlich doch gestattet wird, im Dorf zu leben. Mit dieser kafkaesken Wendung erhält K wenigstens teilweise Genugtuung.

Ob das Schloss nun der Ort der Gnade ist, wie Kafkas Freund Max Brod vermutete, oder der Sitz einer Behörde, die das Grauen der modernen Existenz orchestriert, oder ein Nichts, zu dem kein Weg führt – bleibt aber letztlich doch ungewiss.

Samstag, 25. März 2023

»Das Schloss« Entstehung

An dieser Stelle soll nun etwas über die Entstehung dieses Romanfragments gesagt werden. Beginnen wir mit den nahen Eindrücken Kafkas in seiner Heimatstadt. Da ist zunächst einmal der Ausblick des Autors aus dem Fenster seines Geburtshauses.


Von Kafkas Geburtshaus sieht man die nahe Teynkirche, als wäre sie fern, und den fernen Hradschin, als wäre er nah. Hoch ruht das Prager Schloss auf dem Felsen oberhalb der Moldau, aber die unteren Fenster des Palastes liegen knapp über den ansteigenden Dächern der Kleinseite. Ist diese alte Burg Kafkas Schloss oder dessen Inspiration oder gibt es anderen Quellen?


An seinem letzten Roman »Das Schloss« arbeitete Kafka von Ende Januar bis Ende August 1922. Begonnen wurde die Niederschrift in Spindelmühle im Riesengebirge, abgebrochen wurde sie im westböhmischen Planá nahe der deutschen Grenze, in einer Sommerwohnung, die seine Schwester Ottla angemietet hatte. In diesen Zeitraum fällt Kafkas endgültige Pensionierung in der Arbeiter-Unfallversicherung.


1922 war Kafka ein Schriftsteller, der nicht mehr schreiben konnte. Seine literarische Tätigkeit, immer in Schüben hervorbrechend, lag seit einiger Zeit brach. Schon ein Jahr zuvor hatte er im slowakischen Matliary während einer Kur monatelang ganz auf schriftstellerische Arbeit verzichtet. Aber die Abgeschiedenheit des Ortes, die klare Schneeluft, die in der Ferne dämmernden Schemen von Häusern, Brücken und Wald setzen in Spindlermühle seine literarische Einbildungskraft neu in Gang. Wenige Tage nach der Ankunft entwickelt Kafka die Skizze einer Begrüßungsszene in einem Wirtshaus, die dann in die Beschreibung der Ankunft des Helden im nächtlichen Dorf übergeht. Innerhalb von drei Wochen entstehen vermutlich die ersten 37 Manuskriptseiten des "Schloss"-Romans.


Nach dem fulminanten Beginn in Spindlermühle gelingt es Kafka noch bis zum Juli 1922, seine Produktivität auf höchstem Niveau zu halten. Sein Problem lag darin, dass er eigentlich nur an einem Stück schreiben konnte, wie es ihm erstmals in der Nacht vom 22. auf den 23. September 1912 glückte, als die Novelle »Das Urteil« entstand. Für ausgedehnte Romankonstruktionen bildete die Abhängigkeit von tranceartiger, auf das Äußerste gesteigerter Konzentration eine denkbar ungünstige Hypothek.


Im Fall des "Schloss"-Projekts begannen die Stockungen im Sommer 1922. Mitte September 1922 erklärt Kafka frustriert, er habe "die Schloss-Geschichte offenbar für immer liegen lassen müssen". Bis zu seinem Tod am 3. Juni 1924 wird er das Manuskript nicht mehr anrühren und nur seinem Freund Max Brod die Lektüre gestatten.


Der Abbruch des Romans geht wohl vor allem auf die psychische Instabilität Kafkas zurück, der im Herbst 1922 mehrfach Angstattacken erlitt. Das Manuskript, das gegen Ende ungewöhnlich lange Streichungen enthält, offenbart jedoch auch formale Probleme: Anscheinend hatte Kafka Schwierigkeiten, die zunehmende Zahl von Figuren und Erzählsträngen noch miteinander in Einklang zu bringen.


1926 veröffentlichte Brod eine erste Lesefassung des Schloss-Romans mit zahllosen Eingriffen und Glättungen. Sie sollten den Eindruck erwecken, als handelte es sich um ein annähernd fertiges Werk, dem lediglich der Schluss fehlte.


Als Malcolm Pasley 1982 für die Kritische Edition des Fischer-Verlags eine neue Ausgabe herstellte, ließ er sich von Kafkas Stichworten für die Textgliederung leiten, die er der Kapitelfolge als Überschriften zugrunde legte. Zwar blieb dieses Verfahren fragwürdig, aber immerhin trat durch Pasleys diplomatische Edition der Fragmentcharakter des Textes deutlicher hervor als bei Brod. Nicht, dass er nicht endet, kennzeichnet den Roman, sondern daß er gar nicht enden kann.



Anhang


In den Jahren 1911 und 1912 hatte Kafka während der Arbeit an der Novelle »Die Verschollenen« bereits erfahren, wie schnell er sich bei größeren epischen Projekten im Niemandsland seiner Assoziationen verlaufen konnte. Daraus zog er im Fall des »Prozess« wenige Jahre später eine klare Konsequenz, indem er sofort nach dem ersten das letzte Kapitel schrieb. Als der Roman 1915 abgebrochen wurde, war er ein paradoxes Fragment: ein Text, der Beginn und Schluss hatte, dem aber die letzten Brückenverbindungen im Inneren seiner Architektur fehlten.


InBei dem Roman »Das Schloss« schien Kafka nun die Situation des »Verschollenen« zu wiederholen. Abermals spann er sich in seine Geschichte ein, ohne dass er ihr Ende erreichte; nochmals arbeitete er sich wie in einem Stollen vorwärts, gelangte aber nicht zum letzten Durchbruch.


Stärker als die beiden ersten Fragmente ist »Das Schloss« auch seiner Idee nach ein Bruchstück. Der Roman bleibt von vornherein darauf angelegt, seinen Protagonisten ins Innere einer sozialen Ordnung zu führen, in der er sich wie in einem Labyrinth verirrt.



Roland Reuß' neue Edition im Rahmen der Frankfurter Kafka-Ausgabe zeigt diese Struktur auf mustergültige Weise. Der Text ist wie schon bei den vorausgehenden Ausgaben ganz aus der Handschrift ediert, das heißt, dass er das Manuskript mit seinen Streichungen und Korrekturen dokumentiert. Die sechs Schreibhefte, die das Romanfragment bilden, werden in ihrer materiellen Struktur so genau wie möglich wiedergegeben. Dazu gehört, dass neben der kritischen Erfassung des Textes, seiner Streichungen und Varianten auch die Manuskriptseiten im Faksimile erscheinen.


Auf diese Weise rückt, wie schon mehrfach an früheren Bänden der Ausgabe gerühmt, der Schreibprozess selbst ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die unterschiedlichen Textschichten mit ihren Streichungen, Überschreibungen oder Korrekturen werden ohne Eingriffe des Herausgebers dargeboten. Durch ein schlüssiges Dokumentationssystem lässt sich die jeweilige Stufe der von Kafka vorgenommenen Textänderung über die graphische Wiedergabe gut erfassen. Da gleichzeitig die Möglichkeit besteht, einen Blick auf die faksimilierte Manuskriptseite zu werfen, kann man den Schriftduktus direkt zum Vergleich mit der gedruckten Dokumentation heranziehen. Komplizierter wird es nur dort, wo längere Passagen gestrichen und neu erarbeitet werden, wie das gerade im letzten Viertel des Romans häufiger der Fall ist. Ohne aufwendiges Zurückblättern sind hier übergreifende Eindrücke und Befunde nicht zu erlangen.


Bei dem Schloss-Projekt begannen die Stockungen im Sommer 1922. Mitte September 1922 erklärte Kafka frustriert, er habe "die Schloßgeschichte offenbar für immer liegen lassen müssen". Bis zu seinem Tod am 3. Juni 1924 wird er das Manuskript nicht mehr anrühren und nur seinem Freund Max Brod die Lektüre gestatten.


Der Abbruch des Romans geht wohl vor allem auf die psychische Instabilität Kafkas zurück, der im Herbst 1922 mehrfach Angstattacken erlitt. Das Manuskript, das gegen Ende ungewöhnlich lange Streichungen enthält, offenbart jedoch auch formale Probleme: Anscheinend hatte Kafka Schwierigkeiten, die zunehmende Zahl von Figuren und Erzählsträngen noch miteinander in Einklang zu bringen.


Kafkas Bewunderer und engster Freund in Prag, der Schriftsteller Max Brod (1884 bis 1968), war die treibende Kraft für die wenigen Buchveröffentlichungen zu Lebzeiten. Nach Kafkas Tod zögerte er nicht, unverzüglich mit der Herausgabe seiner Schriften zu beginnen; den Anfang machte 1925 der »Prozess«-Roman, mit dem der Weltruhm begründet wurde.


Zu Lebzeiten Kafkas erfuhr die Öffentlichkeit nichts vom Schloss-Roman. Max Brod gab das Werk jedoch schon 1926 aus dem Nachlass heraus (Kurt Wolff Verlag, München), wobei er zwei Episoden wegließ, die er für unfertig hielt. Die langen, gestrichenen Passagen, die für das Verständnis des Romans nicht unerheblich sind, erschienen dann erst in späteren Ausgaben (Schocken Verlag, Berlin 1935 und New York 1946; S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1951). Das Manuskript, das aus sechs Heften besteht, befindet sich heute in der Bodleian Library in Oxford.


Der Verlag erkannte bald, dass die Übersetzungen schlecht waren und wünschte sich 1940 einen "völlig anderen Ansatz". 1961 erhielt Malcolm Pasley Zugang zu allen Werken von Kafka mit Ausnahme von »Der Prozess« und legte sie in der Bodleian Library in Oxford ab. Pasley und ein Team von Wissenschaftlern (Gerhard Neumann, Jost Schillemeit und Jürgen Born) veröffentlichten die Werke 1982 im S. Fischer Verlag.


»Das Schloß« erschien in diesem Jahr als zweibändiges Set - der Roman im ersten Band und die Fragmente, Streichungen und Aufzeichnungen des Herausgebers im zweiten Band. Dieses Team stellte den vollständigen und unvollständigen deutschen Originaltext wieder her, einschließlich Kafkas einzigartiger Zeichensetzung, die als entscheidend für den Stil angesehen wird


Als Malcolm Pasley 1982 für die Kritische Edition des Fischer-Verlags eine neue Ausgabe herstellte, ließ er sich von Kafkas Stichworten für die Textgliederung leiten, die er der Kapitelfolge als Überschriften zugrunde legte. Zwar blieb dieses Verfahren fragwürdig, aber immerhin trat durch Pasleys diplomatische Edition der Fragmentcharakter des Textes deutlicher hervor als bei Brod.

Samstag, 24. September 2022

Auf Spurensuche nach Kafkas Schloss


Es ist ein großes Rätsel der Literaturgeschichte: Wo liegt nur, Kafkas Schloss? Nun gilt es, dem Geheimnis des Schlosses auf die Spur zu kommen, welches doch gar kein Schloss im eigentlichen  Sinne ist. Es geht dabei um die räumliche Verortung des geheimnisvollen Ortes, welcher gar kein richtiges Schloss im eigentlichen Sinne ist.

Das Schloss ist bei Kafka vor allem eine Frage der Vorstellung. Soll man sich das Schloss des Grafen Westwest, der den Landvermesser angeblich hat kommen lassen, vorstellen wie das düstere Schloss des Grafen Orlok in Murnaus »Symphonie des Grauens«? Oder gleicht es dem Prager Hradschin oder einem anderen Schloss im Böhmischen?

Kafka liefert in dem Text eine recht brauchbare Beschreibung des Schlosses, an der man sich bei der Spurensuche orientieren kann. „Es war weder eine alte Ritterburg, noch ein neuer Prunkbau, sondern eine ausgedehnte Anlage, die aus wenigen zweistöckigen, aber aus vielen eng aneinanderstehenden niedrigeren Bauten bestand; hätte man nicht gewußt, , daß es ein Schloß ist, hätte man es für ein Städtchen halten können.“

Wer hätte das vermutet? - Das Schloss erweist sich als eine recht seltsame Ansammlung von niedrigen Häusern und nicht etwa als zu erwartender Prunkbau. Es ist ein recht elendes Schloss, und das darunter liegende Dörfchen, das aus Dorfhäusern zusammengetragen ist. Zudem bietet das Schloss weder dem Tor zum oberen Dorf noch dem Tor zum unteren Dorf eine Schauseite. Die eigentliche Prunkseite ist dem Garten zugewandt, der von hohen Mauern umschlossen ist, nicht einsehbar.

Die Beschreibung des Schlosses ist jedoch merkwürdig, denn das Schloss entspricht K.s Erwartungen, aber sicherlich nicht denen des Lesers, der sich unter einem Schloss eher einen „Prunkbau“ oder die alte „Ritterburg“ vorstellt, als eine Anlage, die einem kleinen Städtchen ähnlich sieht. Diese Darstellung steht im Kontrast zu dem was man sich gemeinhin unter einem Schloss vorstellt.

K. scheint hier zum ersten und vielleicht zum letzten Mal kurze Erkenntnis zu gewinnen. „Nun sah er das Schloß deutlich umrissen in der klaren Luft.“ So deutlich wird er das Schloss im Laufe des Romans nie wieder erkennen.

Einiges spricht dafür, den Geburtsort von Kafkas Großvater für den Ort des Schlosses zu halten. Aufschlußreich ist hier ein Artikel des profunden Kafka-Kenners Klaus Wagenbach in der ZEIT.

Das Dorf Woßek besteht aus zwei Teilen. Der größere liegt in einer Senke, an einem Teich, der kleinere, einige hundert Meter entfernt, auf einer Anhöhe. Das gesamte Dorf ist klein: Heute wohnen dort etwa hundertfünfzig Menschen. Von Radomischl kommend, betritt man zuerst das Unterdorf, eine Zeile von wenigen Häusern links und rechts der Straße, die auf den Dorfanger mündet. Am Anger liegt – und lag schon immer – ein Gasthaus. Vom Anger ab teilt sich die Straße. An der Ecke steht eine kleine Kapelle, unter der nach halbrechts führenden Straße fließt der Teich ab. Diese Straße führt zu einem auf der Anhöhe liegenden Schloß. Die andere Straße, halblinks, läuft im Bogen durch freies Feld, ebenfalls auf die Anhöhe, in das um das Schloß gruppierte Oberdorf, und dann weiter nach Kbelnitz.

Kafka kannte mit Sicherheit Woßek, wahrscheinlich schon von Besuchen des Großvaters her, gewiß aber sah er es anläßlich des Begräbnisses, damals sechseinhalb Jahre alt, Schüler der Prager Deutschen Volksschule am Fleischmarkt. Als ältester Sohn der Familie war er nach jüdischer Sitte verpflichtet, am Begräbnis des Großvaters teilzunehmen. In den folgenden Jahren war er wohl noch einige Male in Woßek, als Gymnasiast während der Schulferien, die er öfters bei einer Tante in Strakonitz verbrachte. Danach besuchte Kafka Woßek sehr wahrscheinlich niemals wieder – die Gründe liegen auf der Hand: Es war der Ort des Vaters, der geographische Fixpunkt jener Berichte von den Leiden seiner Kindheit, die zu den Haupterziehungsmitteln des Vaters gehörten.

Zitiert aus: Klaus Wagenbach, »Wo liegt Kafkas Schloß?«, »DIE ZEIT«

Anhand dieser recht genauen Schilderung drängt sich der Eindruck auf, daß Klaus Wagenbach bei seiner Recherche auf den Spuren des Großvaters Kafkas Schloss tatsächlich gefunden hat.


Samstag, 19. März 2022

»Das Schloss« Einleitung



»Das Schloss« ist ein im Jahr 1922 begonnener und Fragment gebliebener Roman von Franz Kafka, welcher 1926 posthum erschienen ist. Zu Lebzeiten Kafkas erfuhr die Öffentlichkeit nichts von dem Schloss-Roman, genauso wenig wie von dessen Autor. Kafkas Freund und Verleger Max Brod hat das unvollendete Werk im Jahr 1926 entgegen der Verfügung Kafkas aus dem Nachlass herausgegeben.

Das letzte, von Januar bis September 1922 entstandene Romanfragment greift das bereits vorher in dem Roman »Der Prozess« entworfene Thema der unendlichen, letztlich scheiternden Suche des Individuums nach Erkenntnis auf, dieses mal eingetaucht in die düstere Welt der Bürokratie. Kafkas Schwanengesang ist eine schillernde Parabel für den Kampf gegen und das Ausgeliefertsein an anonyme Mächte.

In seinem unvollendeten Romanfragment »Das Schloss« beschreibt Franz Kafka das Ringen eines auf Anweisung eines Grafen in einen düsteren Landstrich gekommenen Mannes mit einem bürokratischen Apparat, welcher alles kontrolliert und gleichzeitig außer Kontrolle zu geraten scheint. Kafka beschreibt den Konflikt eines Menschen gegen die eine undurchschaubare Bürokratie und die Machenschaften der Beamten.

Ort der Handlung ist ein nicht näher bestimmtes Schloss und das unterhalb liegende Dorf. Ein Landvermesser wird von einem Grafen beauftragt. Seine Versuche, den Auftrag auszuführen, sind jedoch zum Scheitern verurteilt, denn eine unsichtbare Macht scheint ihn davon abzuhalten, in dessen Schloss hinein zu gelangen.

Schauplatz ist ein Dorf, das zu Füßen eines Schlosses ohne nähere geografische Bestimmung liegt und von dort aus beherrscht wird. Im Mittelpunkt der nur sechs Tage umfassenden Handlung steht ein Fremder namens K. Er folgt einer angeblichen Einladung aus dem Schloss und ist von weither angereist, um als Landvermesser zu arbeiten, doch alle Versuche, mit der Schlossbehörde in Kontakt zu kommen, scheitern. Allmählich beginnt K., sich wie die anderen Dorfbewohner der undurchsichtigen Macht des Schlosses zu beugen.

Franz Kafkas Romanfragment, verfasst sieben Jahre nach dem »Prozess«, gilt einer kleinen geheimnisvollen und undurchschaubaren Welt voller Geheimnisse. Der späte Kafka erzählt darin eine in sieben Tagen stattfindende, recht absurde Geschichte eines vergeblichen Zutritts in ein seltsames Schloß, in.das keiner hineinkommt, umgeben von einem Dorf, welches kaum mehr als zwei Gasthäuser und zwei Gassen hat.

Samstag, 19. September 2020

»Das Schloss« Erzählung



An einem späten Winterabend gelangt der Landvermesser K. in ein Dorf, das von einem mysteriösen Schloss und dessen Beamten beherrscht wird. Das Dorf taucht unvermittelt aus dem Nebel auf. Es wirkt verlassen, kein Mensch ist zu sehen. Die lange, fast gerade Hauptstraße scheint endlos lang und verschwindet in der Ferne im Grau des späten Nachmittags. Ein Landvermesser betritt eine Wirtschaft, welche nur durch ein Schild kenntlich gemacht und ansonsten nicht von den anderen niedrigen Bauernhäusern zu unterscheiden ist. Im Inneren der Gaststätte sitzen zu seiner Überraschung viele Gestalten. Der Rauch nimmt ihm die Sicht und wie blind gleicht er eher einem Betrunkenen, denn einem müden Wanderer.

"Es war spät abends, als K. ankam. Das Dorf lag in tiefem Schnee. Vom Schloßberg war nichts zu sehen, Nebel und Finsternis umgaben ihn, auch nicht der schwächste Lichtschein deutete das große Schloß an. Lange stand K. auf der Holzbrücke, die von der Landstraße zum Dorf führt, und blickte in die scheinbare Leere empor."

Welch ein mysteriöser Beginn. Wie ein Fremder kommt der Landvermesser in das namenlose Dorf.
Vergeblich sucht er am nächsten Morgen einen Weg, der zum Schloss führt. Die Dorfbewohner wollen nichts mit ihm zu tun haben und weichen seinen Fragen aus.

Der Ort besteht aus zwei Gasthäusern, dem Brückenwirt, in dem der Landvermesser in der ersten Nacht unterschlüpft, und dem Herrenhof, in dem die Beamten, Diener und Knechte des Schlosses absteigen und in dem zu nächtlicher Stunde Amtsgeschäfte oder eher wohl Verhöre geführt werden; dazu kommen eine Schule und ein paar Innenräume.

Am Ende des nächsten Tages stellen sich zwei Männer als seine Gehilfen vor: Artur und Jeremias, die ihm von nun an auf Schritt und Tritt folgen und sogar über seinen Schlaf wachen. Kenntnisse in Landvermessung haben sie nicht. Ein Bote namens Barnabas bringt K. einen Brief, der von Kanzleivorstand Klamm stammen soll, und der K. in seinem Amt bestätigt.

Im Gasthaus »Herrenhof«, in dem ausschließlich Schlossbeamte verkehren, begegnet K. der Geliebten Klamms, dem Schankmädchen Frieda. Von seiner Gastwirtin erfährt K., dass Klamm grundsätzlich für niemanden aus dem Dorf zu sprechen sei. Zwischen K. und Frieda entwickelt sich eine Liebesbeziehung und Frieda trennt sich schließlich von Klamm. Damit werden aber auch K.s Hoffnungen zunichte, Frieda könne ihm den Weg zu den Schlossbehörden ebnen.

 Der Dorfvorsteher, K.s direkter Vorgesetzter, behauptet, dass ein Landvermesser nicht gebraucht werde und die Ausschreibung ein Missverständnis gewesen sei. K. besteht aber auf einer Anstellung im Dorf und darf schließlich als Schuldiener arbeiten. Er wird mit Frieda und den Gehilfen behelfsmäßig in einem der beiden Klassenzimmer der Dorfschule untergebracht.

Neben seinen Aufgaben als Schuldiener sucht K. weiterhin beharrlich den Kontakt mit Klamm und wartet im Herrenhof viele Stunden vergeblich auf ihn. Ein Verhör durch Klamms Dorfsekretär Momus lehnt er ab und ignoriert dessen Warnungen ebenso wie die der Brückenwirtin. Über den Boten Barnabas will K. eine Unterredung mit Klamm erzwingen. Die lästigen und undurchsichtigen Gehilfen werden von K. in der Zwischenzeit entlassen.

Von Barnabas Schwester Olga erfährt K. zu seinem Entsetzen, dass Barnabas im Schloss selbst nur ein Bittsteller sei und über keinerlei Rechte verfüge. Olga vertraut K. das dunkle Familiengeheimnis an: Seit Olgas und Barnabas Schwester Amalia vor drei Jahren einen Schlossbeamten, von dem sie sich gedemütigt fühlte, abgewiesen hat, versucht die ganze Familie, im Schloss den Fehler wieder gutzumachen. Da der Fall dort aber nicht aktenkundig sei, könne man nichts für die ehemals angesehene Familie tun, die vom Dorf inzwischen mit Verachtung gestraft wird.

Als K. von Olga kommt, teilt sein früherer Gehilfe Jeremias ihm mit, dass Frieda den K. verlassen habe und jetzt mit ihm im Herrenhof wohne und arbeite. Da erscheint Barnabas mit der Botschaft, dass Klamms Sekretär Erlanger ihn im Herrenhof erwarte. K. eilt in das Gasthaus und während er nächtens darauf wartet, dass der schlafende Erlanger aufwacht, kommt es zu einer Aussprache zwischen ihm und Frieda. Frieda entscheidet sich für Jeremias, der ihr aus Kindertagen vertraut ist.

Auf der Suche nach Erlanger betritt K. versehentlich das Schlafzimmer des Sekretärs Bürgel. Dieser erklärt ihm, warum es für einen Hilfesuchenden günstig sei, einem scheinbar nicht zuständigen Sekretär und insbesondere in der Nacht sein Anliegen anzuvertrauen. K. schläft während Bürgels Ausführungen ein und wacht erst auf, als Erlanger am frühen Morgen nach ihm ruft.

Nach einer kurzen Unterredung, in der es um Frieda und Klamm geht, verlässt Erlanger den Herrenhof. K. bleibt zurück und schläft bis zum Abend im Schankraum. Beim Aufwachen trifft er das Zimmermädchen Pepi an, das Frieda vorübergehend im Ausschank vertreten hat. Pepi versucht, Frieda zu verleumden, doch K. widerspricht. Vor der Tür wartet der Fuhrmann Gerstäcker auf K.

Sein Bemühen ist darauf ausgerichtet, den Weg zum Schloss zu finden. Im zweiten Gasthaus des Dorfes, dem Herrenhof, wo die Angestellten des Schlosses immer wieder ihren Aufgaben nachgehen und übernachten, versucht K. weiterhin hartnäckig, aber mit wachsender Verzweiflung, sein Ziel bei der Schlossbehörde zu erreichen und endlich ins Schloss vorgelassen zu werden, um seine Tätigkeit als Landvermesser aufnehmen zu können.

"Zum ersten Mal seit seinem Kommen fühlte er wirkliche Müdigkeit. Der weite Weg hierher schien ihn ursprünglich gar nicht angegriffen zu haben – wie war er durch die Tage gewandert, ruhig Schritt für Schritt! – jetzt aber zeigten sich die Folgen der übergroßen Anstrengung, zur Unzeit freilich. Es war ein langer Weg. Die Straße nämlich, diese Hauptstraße des Dorfes führte nicht zum Schloßberg, sie führte nur nahe heran, dann aber wie absichtlich bog sie ab und wenn sie sich auch vom Schloß nicht entfernte, so kam sie ihm doch auch nicht näher. Immer erwartete K., daß nun endlich die Straße zum Schloß einlenken müsse, und nur weil er es erwartete ging er weiter; offenbar infolge seiner Müdigkeit zögerte er die Straße zu verlassen, auch staunte er über die Länge des Dorfes, das kein Ende nahm."

"So ging er wieder vorwärts, aber es war ein langer Weg. Die Straße nämlich, die Hauptstraße des Dorfes, führte nicht zum Schloßberg, sie führte nur nahe heran, dann aber, wie absichtlich, bog sie ab, und wenn sie sich auch vom Schloß nicht entfernte, so kam sie ihm doch auch nicht näher. Immer erwartete K., daß nun endlich die Straße zum Schluß einlenken müsse und nur, weil er es erwartete, ging er weiter; offenbar infolge seiner Müdigkeit zögerte er, die Straße zu verlassen, auch staunte er über die Länge des Dorfes, das kein Ende nahm, immer wieder die kleinen Häuschen und vereisten Fensterscheiben und Schnee und Menschenleere – endlich riß er sich los von dieser festhaltenden Straße, ein schmales Gäßchen nahm ihn auf, noch tieferer Schnee, das Herausziehen der einsinkenden Füße war eine schwere Arbeit. Schweiß brach ihm aus, plötzlich stand er still und konnte nicht mehr weiter "

"Wenn K. das Schloß ansah, so war ihm manchmal, als beobachte er jemanden, der ruhig dasitze und vor sich hinsehe, nicht etwa in Gedanken verloren und dadurch gegen alles abgeschlossen, sondern frei und unbekümmert; so als sei er allein und niemand beobachte ihn; und doch mußte er merken, daß er beobachtet wurde, aber es rührte nicht im geringsten an seine Ruhe und wirklich – man wußte nicht war es Ursache oder Folge – die Blicke des Beobachters glitten ab. Dieser Eindruck wurde heute noch verstärkt durch das frühe Dunkel, je länger er hinsah, desto weniger erkannte er, desto tiefer sank alles in Dämmerung."

Das Oberdorf besteht nur aus wenigen, um das Schloss und einen Gutshof gruppierten Häusern. Vom Unterdorf aus gesehen sieht das Schloss so aus:

"Es war weder eine alte Ritterburg noch ein neuer Prunkbau, sondern eine ausgedehnte Anlage, die aus wenigen zweistöckigen, aber aus vielen eng aneinander stehenden niedrigen Bauten bestand; hätte man nicht gewußt, daß es ein Schloß sei, hätte man es für ein Städtchen halten können. Nur einen Turm sah K., ob er zu einem Wohngebäude oder einer Kirche gehörte, war nicht zu erkennen... Die Augen auf das Schloß gerichtet, ging K. weiter, nichts sonst kümmerte ihn. Aber im Näherkommen enttäuschte ihn das Schloß, es war doch nur ein recht elendes Städtchen, aus Dorfhäusern zusammengetragen, ausgezeichnet nur dadurch, daß vielleicht alles aus Stein gebaut war; aber der Anstrich war längst abgefallen, und der Stein schien abzubröckeln Und er verglich in Gedanken den Kirchturm der Heimat mit dem Turm dort oben ... Der Turm hier oben – es war der einzig sichtbare – der Turm eines Wohnhauses, wie es sich jetzt zeigte, vielleicht des Hauptschlosses, war ein einförmiger Rundbau, zum Teil gnädig von Efeu verdeckt..."


Das Schloss ist strikt abgegrenzt vom Dorf, es scheint unerreichbar, und nur die Schlossbeamten haben Zutritt zu ihm. Die Verbindung zwischen den Dorfbewohnern und den Schlossbeamten erfolgt über deren Abgesandte und Sekretäre. Beim Schloss handelt es sich demnach nicht um ein Gebäude, das einem König, Prinzen oder Adligen gehört, sondern um einen Beamtenapparat. Zwar gehört es, wie auch das Dorf dem Grafen Westwest, aber in diesem Gebäude wohnt nicht dessen Familie, sondern Beamte, die dort arbeiten und auch leben.

Unter K.s neugierigem Blick entfaltet die Schloss-Behörde eine fiebertraumhafte Kompliziertheit, die jede Zuversicht, sie könnte irgend etwas zugunsten des Petitenten regeln, zu einem naiven Kinderglauben degradiert.

Als K. im Herrenhof eine falsche Tür öffnet und so statt auf den erwarteten Sekretär Klamms auf einen ihm unbekannten Verbindungssekretär stößt, beginnt der ihm in einem langen Monolog die Probleme, die es in der Welt der Beamten und Sekretäre gibt, auseinanderzusetzen. K. hört ihm erschöpft zu, und dann heißt es: „K. hatte schon ein kleines Weilchen in einem halben Schlummer verbracht …“, und wenige Seiten weiter: „K. nickte lächelnd, er glaubte jetzt, alles genau zu verstehen; nicht deshalb, weil es ihn bekümmerte, sondern weil er nun überzeugt war, in den nächsten Augenblicken würde er völlig einschlafen … Klappere, Mühle, klappere, dachte er, du klapperst nur für mich.“ Bei einem geringeren Autor als Kafka könnte man einen ironischen Selbstkommentar darin sehen, eine Immunisierungsstrategie, den resignierten Hilfeschrei eines Schreibenden, der sich so sehr in sein Labyrinth verstrickt hat, dass er nicht mehr weiterweiß, weder einen Ausweg findet, noch eine Idee hat, wie es zu sprengen wäre, und deshalb als bis zur Bewegungslosigkeit Gefesselter nur mit seinen Verstrickungen fortfahren kann, bis selbst die zum Stillstand kommen.

Die Ereignisse überstürzen sich, als K. zu einem Verhör bestellt wird. Während ein Sekretär dem entkräfteten K. versichert, dass das Amt seine Bitten nun erfüllen würde, fordert ihn ein anderer Sekretär auf, Klamms Geliebte freizugeben. Klamms Geliebte, die vom Besuch bei der verfemten Familie erfahren hat, trennt sich von K.

Bevor der zu Tode erschöpfte K. in tiefen Schlaf sinkt, beobachtet er die hektische Betriebsamkeit der Schlossdiener und erfährt, dass seine Anwesenheit das Amt erheblich behindern würde. Nach einer rätselhaften Unterhaltung K.s mit der Herrenhofwirtin über deren Kleidung bricht das Fragment hier ab.

Ein von Kafka selbst verfasster Schluss existiert nicht, er wurde aber von Max Brod aus persönlichen Erzählungen des Autors rekonstruiert. So sollte K. am siebenten Tag an körperlicher und seelischer Erschöpfung sterben, während ihm zu gleicher Zeit das Schloss aufgrund seiner eifrigen und stets fehlerfreien Bewerbung der Gnade halber ein Wohnrecht erteilt und K. somit doch einen Teilsieg in seinem Bestreben errungen hätte.

Gegen Ende des unvollendeten Romans ist aus dem tatsächlich oder vermeintlich oder vorgeblich berufenen, hochmütigen Landvermesser der Allergeringste geworden, ein versteckt lebender Knecht der Gasthof-Mägde.